Wer ist hier Deutscher?
Wäre nicht Ljubas Mutter gewesen, wäre sie sicherlich niemals nach Deutschland gekommen. Ihre Mutter hat sie im Kleinkindalter nach Deutschland gebracht. Alles sprach für eine Ausreise: die Armut, das schwere Schicksal einer allein erziehenden Mutter und Arbeitserlaubnisse für alle, die arbeiten wollten. Katina wurde nach drei Jahren Ehe mit einem häufig trinkenden Mann allein erziehende Mutter. Ihre Lebensumstände haben trotzdem nicht verbessert, sie lebte nicht im Paradies. Den Polen war Kroatien in Zeiten des Kommunismus vor allem als teueres Urlaubsziel bekannt, das man sich nicht leisten konnte. Doch Katina lebte im ärmsten Teil Kroatiens, in Slawonien, wohin sich Touristen eher selten verirrten. Dort gab es auch keine Industrie, so dass die Landwirtschaft der einzige Arbeitgeber war.
Deutsche Staatsbürgerin
Mitte des Jahres 1963 dachte Ljubas Mutter, sie hätte das Glück am Schopf gepackt. Das Unternehmen Mercedes rekrutierte in Belgrad Mitarbeiter für eine neue Fabrik in Stuttgart. Im Sommer meldete sich im Mercedes-Büro in Belgrad, im Herbst wohnte sie bereits in Stuttgart. Die Arbeitserlaubnis und einen Sprachkurs besorgte ihr die Firma, das Sozialamt gab ihr eine Wohnung und eine hohe Stütze für allein erziehende Mütter. Sie nähte Sitzbezüge für luxuriöse Limousinen – die Arbeit und das Leben in der neuen Heimat waren einfach. Bald heiratete Katina einen gut aussehenden Arbeitskollegen, Helmut. Durch die Ehe mit einem Deutschen konnte sie und ihre mittlerweile zehnjährige Tochter die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Damit wurde die ältere Kroatin Deutsche, ihre jüngere Tochter hingegen nur Bundesdeutsche Staatsbürgerin. Ljuba ist heute über fünfzig, doch sie fühlt sich immer noch nicht als Deutsche. Deutsche ist sie nur den Unterlagen nach. Sie hat sich nie eine deutsche Fahne ans Auto gehängt, sie sang auch nie gerne die Deutsche Nationalhymne. Bei der letzten Fußballweltmeisterschaft war sie nicht für die Deutsche Nationalmannschaft, weil sie schon immer den Kroaten die Daumen drückte. Als ich gemeinsam mit ihr ein Souvenir aus Deutschland für meinen Patensohn suchte, standen wir vor einem Regal mit T-Shirts. Auf einigen davon waren das Wort „Deutschland“ und das Wappen aufgedruckt. Schau mal, Ljuba, vielleicht sollten wir das nehmen? – ich zeigte auf das deutsche T-Shirt. Bist du verrückt? Du kannst doch so etwas nicht einem Kind schenken, sonst verblödet es völlig. – entgegnete sie. Es wunderte mich, dass es eine Frau sagt, die seit Jahrzehnten formell Deutsche ist.
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